Die Mär vom Mehr: Digitales Kino versus DCI

17. September 2010 by  

Geht man mal davon aus, dass 3D-Kino nicht für jedes Genre wirklich spannend ist und nicht in jedem Kinosegment zum Einsatz kommen wird, stellt sich die Frage, warum in den letzten Monaten plötzlich so eine Dynamik in die Diskussion gekommen ist. Klar, es stehen Gelder zur Verfügung, die verteilt werden wollen und die Major-Verleiher wollen aus Kostengründen möglichst schnell „ihre“ wichtigen Marktkinos umstellen, aber was interessiert das den Rest.Die Mitglieder der AG Verleih, die Filmkunstkinos, die Kommunalen Kinos, die Sonderformen haben von einer Umstellung bisher fast ausschließlich Nachteile. Die Investition übersteigt auf nicht-absehbare Zeit den Mehrwert.

In der Theorie könnte „digitales Kino“ mitsamt der neuen Vertriebs- und Abspielstrukturen viele Bereiche dieses Geschäftsfeldes vereinfachen, entschlacken und natürlich auch Kosten reduzieren. Man denke allein an die Arbeitskosten für die Projektion oder die Transportkosten der Kopien incl. Lagerhaltung. Soweit so gut. Diese schöne neue Welt funktioniert aber nur mit a) bezahlbaren und b) freien Systemen.
Vor vielen Jahren schon musste sich das Projekt „CinemaNet Europe / Delicatessen“, aufgelegt in Deutschland durch den Verleih Edition Salzgeber, harscher Kritik aussetzen, da in diesem System die Mitbewerber auf dem Verleihermarkt eine Zugangsgebühr (VPF) zahlen sollten. Dass diese, verglichen mit den heutigen Summen, geradezu lächerlich war, zeigt lediglich, welche Chance damals vertan wurde. Das System war wenigstens bezahlbar und es war insofern frei und offen, als dass die Kinos ohne Schlüssel und ohne sonstige Vorgaben die Filme einsetzen, wechseln, verlegen und verschieben konnten. Anscheinend heute keine Selbstverständlichkeit mehr.

Was aber ist heute?
Um es kurz zu machen: Die Kosten für DCI-konforme und damit teurere Installationen übersteigen die finanziellen Möglichkeiten eines Großteils der Kinos, auch mit allen eingerechneten Förderungen. Neben den Kosten bergen DCI-Installationen bei gleichzeitigem Abspiel von Major-Produkten immer noch die „Gefahr“, dass Kinos ihre Programmierungshoheit in Teilen abgeben. Saalwechsel, Zusatzveranstaltungen, Zeitverschiebung, alles bisher immer noch problematische Aspekte, da die Filmverleiher einen 100%igen Zugriff auf genau diese Faktoren haben und die nötige Flexibilität abhanden kommt.
Die Finanzierungslücke der Kinobetreiber schlagen aber auch direkt auf die unabhängigen Verleiher durch. Inzwischen wird selbst von den Förderungen das System der „Third-Parties“ empfohlen, eine Art Leasingmodell für Digitale Abspielinstallationen (Server- und Projektor-Einheit). Dass diese Firmen daran selbstverständlich verdienen (wie eine Bank) ist das eine Ärgernis, dass das Geschäftsmodell aber darauf beruht, dass die Third-Party bis zuletzt Eigentümer der Abspielanlage ist und somit nicht einfach jeder Content darüber abgespielt werden kann und darf, macht es zur nahezu unüberbrückbaren Hürde. Hier taucht wieder die VPF auf der Bildfläche auf. Filme aus dem Nicht-Major-Repertoire müssen teuer „eingekauft“ werden – eine Art Zugangsberechtigigung für Filme von Verleihern, die keinen großen Deal abgeschlossen haben. Das betrifft dann wohl leider die meisten Filmverleiher der AG Verleih.

Logisch, dass sich ein ganzes Genre bedroht fühlt: kein Verleiher bezahlt mehrere 100 Euro, um in einem Kino gespielt zu werden und kein Kino bezahlt diese Summe als Stellvertreter.

Jeder Tag ohne Digitalisierung ist also eigentlich schon ein Gewinn, zumindest wenn man Digitalisierung gleichsetzt mit DCI. Und genau an dieser Stelle wird die Diskussion nun weitergeführt werden. Müssen die Kinos a) 2k spielen  und b) die durch Majors eingebrachte Sicherheitsphobie mitbezahlen. Nein. Niemand will schlechte Qualität, darüber sind sich alle einig. Aber die Einschränkung und Limitierung der Vielfalt von Kino ist ein sehr hoher Preis für das komplette Bundle, welches hier als Friß-oder-Stirb angeboten wird.

Man kann nur hoffen, dass die AG Kino und die AG Verleih, die gerade in Leipzig den Schulterschluss gezeigt haben, sich endlich effektiv zusammentun und man kann nur empfehlen, dass sie dabei den leicht krisengeschüttelten Bundesverband kommunaler Kinos mit ins Boot holen. Vielleicht muss man dann als Kino auch darüber nachdenken, wie ein Programm aussehen könnte ohne Filme von Disney oder Warner. Das sollte man durchrechnen. Gleichzeitig müssten einige Verleiher der AG Verleih sich überlegen, ob sie sich evtl. auf ewig an die Programmkinos binden wollen und die Crossover-Strategien selbst eindämmen, die den Programmkinos das Publikum wegnehmen. Das wäre eine Arbeit mit zwei autarken Systemen und zwei autarken Märkten, aber rechnen sollte man das. Am Ende aber muss natürlich jede Firma für sich entscheiden.


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